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23. August 2019

Künstliche Intelligenz als Krone der Schöpfung?

Dieser Artikel möchte zur Abwechslung die eutopische Seite der künstlichen Intelligenz ausleuchten, auf Möglichkeiten hinweisen, welche die Menschheit in ihrer Geschichte noch nie hatte, denn die wahre Gefahr geht in absehbarer Zukunft nicht von den Robotern aus, sondern von den Menschen, die sie steuern.

Künstliche Intelligenz als Krone der Schöpfung?

Die Entroboterisierung des Menschen

Dystopien von Robotern, welche die Welt beherrschen, sind allgegenwärtig und die Basis zahlreicher Geschichten und Filme, welche uns mehr oder weniger wohlige Schauer über den Rücken jagen. Dieser Artikel möchte zur Abwechslung die eutopische Seite der künstlichen Intelligenz ausleuchten, auf Möglichkeiten hinweisen, welche die Menschheit in ihrer Geschichte noch nie hatte, denn die wahre Gefahr geht in absehbarer Zukunft nicht von den Robotern aus, sondern von den Menschen, die sie steuern. Es hängt von uns Menschen ab, ob die Kombination von Informationstechnologie und Biotechnologie unsere Zukunft erhellen oder verdüstern wird.

Was ist die Künstliche Intelligenz (KI)?

Definition laut Wikipedia: „Künstliche Intelligenz (KI, auch Artifizielle Intelligenz (AI bzw. A. I.), englisch artificial intelligence, AI) ist ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem Maschinellen Lernen befasst. Der Begriff ist insofern nicht eindeutig abgrenzbar, als es bereits an einer genauen Definition von „Intelligenz“ mangelt. Dennoch wird er in Forschung und Entwicklung verwendet.“(21.07.2019, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstliche_Intelligenz)

KI ist auch deshalb schwer zu definieren, da, was vor ein paar Jahrzehnten noch als KI gesehen werden konnte, heute einfach eine Programmieraufgabe darstellt. Mit den immer besseren Programmiermöglichkeiten und Algorithmen sollte aber auch eine Entmystifizierung der KI stattfinden, denn letzten Endes stehen immer Menschen hinter der KI, die mit ihrer Hilfe Lösungen für Aufgaben suchen, für welche des dem Menschen an Geschwindigkeit und Gedächtnisleistung mangelt.

Ich möchte es mit folgender schon etwas futuristisch angehauchten Definition versuchen, da sie meine Ausführungen besser unterstützt: Künstliche Intelligenz ist die maschinelle Fortschreibung, Verallgemeinerung und Selbstoptimierung menschlicher Intelligenz, unter Ausschaltung der beim Menschen evolutionsbedingt vorhandenen Interferenzen mit Bedürfnissen und Emotionen.“

Vergleich Entscheidungsfindung beim Menschen und bei der KI

Beispiel 1: Kürzester Weg Problem (auch TSP - „Travelling Salesman Problem“)
Ausgehend von einem Startpunkt sollen eine Reihe von Orten optimal abgefahren werden, wobei kein Ort ausgelassen werden darf, und am Ende der Startpunkt wieder erreicht wird.
Mathematiker: Arbeiten mithilfe der Graphentheorie schon lange an dem Problem, das mit der Anzahl der dazukommenden Orte immer aufwendiger wird.
Autofahrer: Wird wahrscheinlich den am nächsten liegenden Ort anfahren, oder er ist gerade hungrig und macht lieber einen Umweg, da seine Lieblingspizzeria an einer anderen Strecke liegt.
KI: Die Daten möglichst vieler Fahrten unterschiedlicher Fahrer, eventuell noch zu verschiedenen Tageszeiten werden eingegeben und ein in absehbarer Rechenzeit genügend guter Weg zu einer bestimmten Tageszeit berechnet.
Welcher Vorgang verspricht die praktikabelste Lösung für eine Lieferfirma?

Beispiel 2: Gesichtserkennung
Mensch: In einer großen Menge von Menschen jemanden Bekannten zu finden, ist keine leichte Aufgabe, da wir z.B. nicht in eine Gruppe hineinzoomen können. Auf etwas größere Entfernung irren wir uns auch recht häufig, und ganz besonders dann, wenn wir die Bekannten schon länger nicht gesehen haben. Mit dem Alter nimmt zusätzlich unsere Sehkraft ab.
KI: In einem ersten Schritt lernt sie anhand zahlloser Beispiele, was menschliche Gesichter sind und wie sie sich von der Umgebung unterscheiden. Im nächsten Schritt werden individuelle Unterschiede einzelner Gesichter festgehalten, indem markante Punkte bzw. Distanzen zwischen ihnen gespeichert werden. Zusätzlich wird in Zukunft sicher daran gearbeitet, auch den Alterungsprozess zu berücksichtigen. Die „Erfolgsrate“ verbessert sich ständig.

In beiden Beispielen wird ersichtlich, dass die Qualität der KI entscheidend von der Menge und Qualität der zugrunde liegenden Daten abhängt. Weitere Grundlagen liefern mathematische Bereiche wie die Wahrscheinlichkeitsrechnung, Statistik und Graphentheorie, die auf Kosten anderer Bereiche immer wichtiger werden. 100%ige Trefferquoten werden weder Mensch noch Maschine liefern, wobei die KI aber den Vorteil hat, dass sie viel schneller arbeitet, dazulernt und nichts vergisst!

Nachsatz: Man begnügt sich in immer mehr Bereichen mit „genügend großer“ Wahrscheinlichkeit, denn die Suche nach der „Weltformel“, die Eindeutigkeit liefert und der man sich vor über 100 Jahren bereits nahe wähnte, hat sich als Suche nach der wahrscheinlich nicht vorhandenen bzw. für Menschen nicht zugänglichen Nadel im immer größer werdenden Heuhaufen herausgestellt.

Wozu für die Entscheidungsfindung KI einsetzen?

Die meisten Menschen denken zwar, dass sie in erster Linie rationale Entscheidungen treffen, aber allein eine genaue Selbstbeobachtung sollte uns lehren, dass in unseren Gehirnen laufend konkurrierende Interessen und Bedürfnisse um die Oberhand ringen. Je nach Dringlichkeit wird diesen dann nachgegeben, wobei zeitliche Nähe und schnelle Befriedigung meist die Oberhand gewinnen. „To the brain, the future can only ever be a pale shadow of the now“ (Eagleman, S131). Wir wissen zwar, dass wir gegen den Klimawandel etwas tun sollen, aber wenn wir dann den neuesten SUV ausgestellt sehen und das nötige Geld für den Erwerb haben, dann können allzu viele nicht widerstehen. Für die Berücksichtigung von in fernerer Zukunft liegende Risiken hat uns die Evolution nicht ausgestattet.  Es gibt genug Untersuchungen, dass wir z.B. bei so einfachen Faktoren wie in weichen Stühlen sitzend oder ein warmes Getränk haltend milder gesinnt sind, oder dass selbst Richter nach dem Mittagessen, wenn der Hunger gestillt ist, größeres Nachsehen haben. Außerdem werden die meisten Entscheidungen unbewusst getroffen. Unser Bewusstsein setzen wir vor allem dann ein, wenn Unerwartetes eintritt (vgl. Eagleman, S98f).

Gerade weil beim Menschen so viel unbewusst abläuft, werden mithilfe immer ausgefeilterer Methoden der Psychometrie unsere Emotionen und Instinkte missbraucht, um unsere Entscheidungen in eine gewünschte Richtung zu lenken. Das „Hacking“ jedes Einzelnen von uns ist bereits weit fortgeschritten, wodurch wir immer leichter zu beeinflussen sind. Eine KI, deren Entscheidungsgrundlagen offen liegen (ein Wunschtraum?), könnte aber auch sehr hilfreich sein und uns neue Einblicke ins eigene Ich geben, auch Unbewusstes zutage fördern. Je weniger wir allerdings der Routine erliegen, je öfter wir etwas völlig Anderes suchen oder machen, desto schwerer tut sich eine KI, uns zu durchschauen.

Wozu eine „politisierte“ KI?

Man kann argumentieren, dass die Menschheitsentwicklung bisher trotz zahlreicher Rückschläge ja auch gar nicht so schlecht war, wir eigentlich schon sehr viel erreicht haben. Warum also nicht weitermachen wie bisher? Nun, wir Menschen neigen dazu, an die Linearität von Entwicklungen zu glauben, obwohl alle Zivilisationen ihre Ups, aber dann auch wieder ihre Downs haben, wenn sie die anstehenden Probleme nicht mehr lösen können bzw. den Gauben an das Einigende verlieren, was immer das auch sein mag. In der Vergangenheit hat dies jeweils nur für regional begrenzte Zivilisationen gegolten. Heute können wir aber schon eher von einer globalen Zivilisation sprechen, und ihr Down wäre um einiges dramatischer. Die Probleme sind somit auch globale Herausforderungen von einer Komplexität, auf die immer mehr Menschen mangels Durchblicks -  und auch Einblicks in mit der Gesellschaftsstruktur einhergehende Probleme - mit der Wahl von Entscheidungsträgern reagieren, welche ihnen die einfachsten Lösungen anbieten. Ob eine Entscheidungsfindung unter Zuhilfenahme einer KI oder alleinig auf den Vorstellungen eines machtbesessenen Präsidenten oder Diktators beruhend besser ist, dazu kann sich jede und jeder für sich Gedanken machen. Vielleicht rettet KI die Menschheit ja vor der eigenen Dummheit?
Was im Laufe der Evolution für die Menschheit ein Vorteil war, gereicht ihr in einer globalisierten Welt mit völlig anderen Herausforderungen zum Nachteil. Es geht nicht mehr darum, sich in einer feindlichen Umwelt gegen rivalisierende Stämme zu verteidigen, sondern in einer schützenswerten Mitwelt gemeinsam das Überleben der gesamten Menschheit zu sichern. Wenn früher die Menschheit aus der Vergangenheit noch für die Zukunft lernen und auch ihren angeborenen Instinkten folgen konnte, so ist das heute oft kontraproduktiv. Sich in unsicheren Zeiten um einen vermeintlich starken Führer zu sammeln gibt in der heutigen Welt nur den Populisten Auftrieb. Dass diese keine nachhaltigen Lösungen anzubieten haben, ist offenkundig. Um bei den nach der Wahl auftauchenden Problemen nicht als nackte Kaiser dazustehen, suchen sie nach Feindbildern bzw. Sündenböcken, welchen sie die Schuld für ihre Misserfolge aufbürden. Feindseligkeiten schaukeln sich dadurch auf und führen zu neuen Problemen.

Seit vielen Jahrhunderten haben sich einige der klügsten Köpfe der Menschheitsgeschichte von Platon bis Marx mit Vorstellungen vom idealen Staat beschäftigt. Das hat zu gewissen Fortschritten, aber auch zu katastrophalen Fehlentwicklungen geführt, welche wir uns heute immer weniger leisten können. Platon ging in seiner Politeia von der Herrschaft weiser alter Männer aus, welche völlig uneigennützig den Staat lenken würden. Man muss dies vor dem Hintergrund einer geradezu erotischen Beziehung der alten Griechen zu ihrer Polis sehen. In völliger Hingabe ein „Zoon Politicon“ zu sein war praktisch die Grundvoraussetzung, um als Bürger überhaupt ernst genommen zu werden. Dies führte zu einer Blütezeit des kulturellen und politischen Lebens innerhalb der Polis, also der In-Group, aber auch zu einer Abschottung gegenüber den Barbaren, der Out-Group. Da die Identifikation mit der eigenen Polis so extrem stark war, konnte man sich aber im alten Griechenland nie wirklich aus freien Stücken zu einem eigenen Staat durchringen. Man schloss sich höchstens notgedrungen bei Bedrohung durch einen äußeren Feind vorübergehend zusammen.

Selbst Platon musste gegen Ende seines Lebens eingestehen, dass eine seiner Grundvoraussetzungen nicht stimmte. Auch weise alte Männer könnten trotz Hingabe für die Polis der Korruption erliegen, da persönliche mit gesellschaftlichen Vorteilen immer in Konkurrenz stehen. Und wie steht es heute mit den weisen alten Männern? Nun, erstens gehen wenige weise Menschen heutzutage noch in die Politik, und häufig verhindert in unserer schnelllebigen Zeit Alter geradezu, wirklich am Puls der Zeit zu sein und damit vernünftige Entscheidungen treffen zu können.

Marx hatte geniale Ideen, ging aber als Kind seiner Zeit von einer viel zu mechanistischen Sicht der Gesellschaft aus. Er rechnete unter anderem nicht damit, dass auch die Kapitalisten seine Werke lasen und daraus ihre Schlüsse zogen. Gerade in jenen Ländern mit einer gewissen Bildungsschicht, denen er die Weltrevolution als erstes vorausgesagt hatte, kam es zu einer Besserstellung der Arbeiterschaft, während die Pferdefüße seiner Ideen ärmere Länder voll trafen.  

Wie bei der Suche nach der Weltformel ist auch Marx von einem Idealzustand ausgegangen, den man erreichen könne. In einer offenen, sich ständig weiterentwickelnden und auch auf Interventionen oft unvorhersehbar reagierenden Gesellschaft ist das eine Illusion. Bei Karl Popper gibt es diesbezüglich einen neuen Ansatz, der auf einen flexiblen, mit Feedback-Schleifen versehenen und ständig neu angepassten Einsatz staatlicher Interventionsmechanismen setzt. Und wer könnte dabei besser und schneller hilfreich sein als eine KI?

Nun zu einem vielleicht gewagt erscheinenden Gedankenexperiment: Was wäre, wenn Politikerinnen zur Entscheidungsfindung bei Problemen und strittigen Fragen eine Künstliche Intelligenz, welche allgemeinen ethischen Prinzipien folgt, zur Verfügung stehen würde? Diese Künstliche Intelligenz könnte dann beispielsweise feststellen, dass es wenig nachhaltig ist, wenn immer größere Mengen an Geld in immer undurchsichtigere Finanzspekulationen investiert werden, während die wahren Bedürfnisse der Menschheit zu kurz kommen. Denn welcher Mensch durchschaut heute noch alle Details unseres Finanzsystems und kann es daher gegen Abstürze absichern? Was wäre, wenn eine KI dieses System besser managen könnte? Anstatt das Vermögen der Menschheit in Spekulation und in das Militär zu stecken, könnte sie außerdem folgende Vorschläge machen: Der Schutz der Umwelt hat Priorität. Um das Bevölkerungswachstum einzudämmen, werden Verhütungsmittel gratis verteilt und eine Altersversorgung weltweit garantiert, was auch den Vorteil hätte, dass Frauen selbstbestimmter über die Anzahl der Kinder bestimmen könnten. Dafür müsste auch die Aufwertung der Frauen in allen Gesellschaften konsequent umgesetzt werden. Das Bildungssystem wird ausgebaut und zukunftsorientiert ausgerichtet, um Menschen weniger anfällig für Angstbeißerei zu machen. Der große Vorteil einer solchen KI wäre außerdem, dass sie auf Basis ständig aktualisierter Daten agieren und Vorschläge jeweils anpassen könnte. „Two particularly important non-human abilities that AI possesses are connectivity and updateability” (Harari, S.22).

Hier stellt sich natürlich die Frage, warum dies nicht ohne künstliche Intelligenz funktioniert. Einfach gesagt reicht die natürliche Intelligenz des Menschen nicht aus, um seine Triebe und vor allem das Machtbedürfnis im Zaum zu halten. Deshalb ist es auch kaum wahrscheinlich, dass die Machthaber die Vorschläge der KI immer beachten würden, da diese ja eventuell die eigene Machtbasis schwächen und ideologische Überlegungen hintanstellen würde. Wahrscheinlicher ist es leider vor allem in Autokratien, dass sie künstliche Intelligenz für die Aufrechterhaltung ihrer eigenen Machtbedürfnisse verwenden. Falls es wie so oft in der Menschheitsgeschichte einer Katastrophe bedarf, um uns in neue Bahnen zu lenken, so würde dies allerdings höchstwahrscheinlich eine globale Katastrophe sein. Vielleicht können uns ja starke und die Bürger ernst nehmende Demokratien davor behüten.

Voraussetzung dafür ist aber, dass möglichst viele Menschen die Vorteile kennenlernen, welche Entscheidungsfindung mithilfe künstlicher Intelligenz bringen könnte, und wenn es dem Menschen gelänge, seine natürlichen Grenzen zumindest zu erkennen und Neues zuzulassen. Eine auf Basis ethischer Prinzipien funktionierende KI würde leichter anerkannt, da sie nicht nach persönlichen oder nationalistischen Richtlinien agieren würde. Das Riesenproblem dabei ist natürlich die Einigung auf diese ethischen Prinzipien, denn die Algorithmen, auf deren Basis die KI agiert, werden nach wie vor vom Menschen eingegeben.  

Die Vorteile sind aber evident: Es würden Probleme viel schneller erkannt und für die Entscheidungen die jeweils aktuellsten Daten verwendet werden, was uns viele Kosten und Irrtümer ersparen könnte (vgl. Rosling, Factfulness). Eine KI, deren Vorschläge sich immer mehr als vernünftig herausstellen, würde von den Menschen auch im Laufe der Zeit besser akzeptiert werden und das Gemeinwohl wirklich konsequent verfolgen.

Im Folgenden seien beispielhaft einige weitere Bereiche erwähnt, in welchen eine KI hilfreich sein könnte.

 

Auswirkungen der Digitalisierung und der KI auf die Arbeitswelt

In kaum einem Bereich verursacht die KI so viele Ängste wie im Bereich der Arbeitswelt. Zu viele von uns haben sich schon so sehr daran gewöhnt, zur Erfüllung von Routineaufgaben herangezogen zu werden. Gewusst oder unbewusst sind wir dadurch zumindest in Teilbereichen zu Robotern geworden, welche ihre Aufgaben ohne viel Überlegung erfüllen. In der Vergangenheit gab es auch bei Veränderungen Jobs in heute immer mehr von Robotern übernommenen Bereichen. „During previous waves of automation, people could usually switch from one routine low-skilled job to another” (Harari, S.29).Schulsysteme der Vergangenheit waren zu einem großen Teil ebenfalls darauf ausgerichtet, uns entsprechend „zuzurichten“. Vielleicht hilft es uns, einmal darüber nachzudenken, dass „Robot“ ursprünglich eigentlich Frondienst bedeutete, und wir uns erst mit Hilfe der Roboter wieder von diesem wenig menschenwürdigen Frondienst befreien können. Besondere Fortschritte in der Menschheitsgeschichte hat es doch immer dann gegeben, wenn Menschen von erschöpfender körperlicher Arbeit befreit wurden und sich neuen Aufgaben widmen konnten. Dank Digitalisierung und KI könnten wir heutzutage diesbezüglich Riesenschritte machen und viel „humaner“ werden, als wir es jemals waren. Nutzen wir doch diese Chance und widmen uns den wirklich menschlichen und menschenwürdigen Aufgaben!

Die KI kann viel, aber sie kann vor allem das „Zwischenmenschliche“ nicht wirklich ersetzen, solange wir die Ansprüche an unsere Mitmenschen nicht schon in pathologischem Ausmaß reduzieren. Für die Arbeitswelt halte ich folgende Gedanken für gültig:

Wenn wir alle das Gleiche machen, werden wir alle durch Roboter ersetzt werden können.
Wenn wir alle das Gleiche wollen, werden uns Roboter das leicht liefern können.
Wo Menschen sich wie Roboter verhalten, werden sie auch durch Roboter ersetzt werden.
Wo Menschen einmalig sind, werden sie auch nicht ersetzt werden können.

Die UPP („Unique Personal Proposition“, Porsch, S80) wird das „Alleinstellungsmerkmal“ der Zukunft. Wenn ich z.B. als Verkäufer für meine Kundin „einmalig“ bin, Fachkompetenz mit offener Freundlichkeit verbinde, auf ihre Bedürfnisse eingehe, dann wird sie auch weiter bei mir kaufen und somit meinen Arbeitsplatz sichern. So viel von menschlicher Kommunikation spielt sich außerdem gar nicht auf verbaler Ebene ab. Wann und wie gut dies durch KI bewältigt werden kann, und ob uns das dann genügt, ist noch mehr als unklar.  

Jeder von uns entscheidet außerdem mit, wie weit die Automatisierung geht, ob wir uns zuhause alles von Alexa bestellen lassen, oder lieber einen Geschäftebummel durch die Altstadt machen und uns auf freundliche Bedienung freuen.

Durch die Entlastung von reinen Routinetätigkeiten kann der Einsatz von KI mehr Raum für die Entfaltung der eigenen Stärken bieten und dadurch die persönliche Weiterentwicklung fördern. Immer weniger Menschen werden dadurch Geld als Kompensation für geistige Leere akzeptieren, wodurch Routinetätigkeiten noch stärker ausgelagert werden. Ärztinnen hätten wieder mehr Zeit für ihre Patienten, wenn ihnen die KI die Erstdiagnose abnimmt. Lehrer hätten mehr Zeit für ihre Schülerinnen, wenn die KI die lästige Korrekturarbeit erledigt.

Um die mit dieser Entwicklung einhergehenden Umbrüche sozial verträglich zu gestalten, ist die Politik gefordert, mit langfristiger Planung zu beginnen, denn für einige durch Routine geprägte Bereiche wird es in Zukunft überhaupt keine Jobangebote für Menschen geben, welche mit Veränderungen Schwierigkeiten haben. Gerade in Umbruchzeiten ist eine langfristige Planung mit Zieldefinitionen notwendig, um die mit Umbrüchen verbundenen Probleme zu bewältigen. Da die vorhersehbare Zukunft, welche meist ja nur eine Fortschreibung der Gegenwart ist, im Vergleich zur unvorhersehbaren Zukunft ständig abnimmt, benötigen wir Visionäre und keine Politiker, die sich nur an der Vergangenheit orientieren bzw. noch schlimmer, in diese zurückwollen.

Auswirkungen der Digitalisierung und der KI auf das Rechts- und Justizsystem

Offensichtlich hinkt unser Justiz- und Rechtssystem den aktuellen Entwicklungen hinterher. Das Rechtssystem ist zu wenig anpassungsfähig und die Justiz erstickt in Aktenbergen.

Dazu ein weiteres Gedankenexperiment: Was wäre, wenn eine KI diese Aktenberge innerhalb von Sekunden nach relevanten Inhalten durchforsten und die nötigen Ergebnisse liefern könnte? Welche Erleichterung wäre das für Juristen? Sie könnten sich dann wieder unter Einsatz der KI damit beschäftigen, welche Maßnahmen die besten Erfolgsquoten z. B. bei der Resozialisierung von Gesetzesbrechern bringen. Viel menschliches Leid und gesellschaftliche Kosten könnten eingespart werden.

Bis eine KI unser gesamtes Rechtssystem durchforstet, auf Lücken und Ungereimtheiten aufmerksam macht, ist es sicher noch ein weiter Weg, aber in Zukunft höchstwahrscheinlich nicht unmöglich.

KI und Informationsbeschaffung

„Wenn ich ständig nach Brot suche, werde ich nie eine Torte bekommen!“

Filterblasen hat es immer gegeben, früher nur an den Stammtischen und in der Dorfgemeinschaft, später auch durch die Auswahl der Kronenzeitung oder der Presse. KI ermöglicht es aber, auf mich individuell zugeschnittene Filterblasen zu erstellen. KI kann mich und meine Bedürfnisse mithilfe psychometrischer Methoden und ausgefeilter Algorithmen besser kennenlernen, als ich es selbst mir eingestehe. Damit könnte sie allerdings auch bei entsprechender Programmierung auf problematische Entwicklungen oder Tendenzen hinweisen und dadurch eine Art von persönlichem Tutor oder Gesundheitscoach sein. Es versteht sich von selbst, dass dem Datenschutz dabei eine entscheidende Rolle zukommt.

Außerdem steht es mir frei, meine Bubble immer wieder zu verlassen, indem ich einfach meine Neugier pflege und immer wieder etwas völlig anderes ausprobiere. Gerade dafür gibt es heutzutage viel mehr Möglichkeiten, als es in früheren Zeiten der Fall war!

Auswirkungen der Digitalisierung und der KI auf die Bildung

Eigenverantwortung, Präventionsdenken, Konfliktfähigkeit, Ambiguitätstoleranz, Persönlichkeitsentfaltung, Kollaboration, Angstreduktion, kritischer Medienkonsum, Mut zum Neuen, der uns im Laufe der Evolution zugunsten des Sicherheitsdenkens manchmal schon zu sehr abhandengekommen ist, sollten ins Zentrum des Bildungsprozesses rücken. Das Kennenlernen der Optionen, aber auch der Einschränkungen des Menschseins, müssen erlebbar gemacht werden. Schulen sollten zu Orten werden, an denen man Unterschiede erleben, Kollaboration üben, Konflikte friedlich austragen und seine Neugier befriedigen kann, idealerweise auch für Erwachsene. Denn lebensbegleitendes Lernen wird zur neuen Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen. Nur wenn die Neugier und die Lust am Lernen nicht verloren gehen, ist dies zu bewältigen. Bildung muss sich verstärkt auch der Erwachsenenwelt widmen, denn in dieser schnelllebigen Zeit können wir nicht einfach auf die nächste Generation warten.

Mit den vielen Möglichkeiten, die wir heutzutage als Menschen haben, kommt der eigenen Verantwortung eine immer größere Bedeutung zu. In der Vergangenheit wurde uns von Eltern, Lehrern, Firmenchefs und von Politikern sehr viel Verantwortung abgenommen. Wenn wir das weiterhin so machen, wird uns Alexa immer mehr abnehmen, und wir werden zu Konsum-Robotern. Wir müssen uns erst wieder daran gewöhnen, viel stärker Verantwortung dafür zu übernehmen, was uns wirklich wichtig ist, unseren eigenen individuellen Weg gehen. Damit wir dies riskieren, muss es auch eine Reduktion der Angst auf allen Ebenen geben. Denn nur möglichst angstbefreite Menschen sind auch bereit, sich auf Risiken einzulassen, welche die moderne Welt mit sich bringt.

Dazu gehört aber auch ein neues Präventionsdenken. Damit „Worst Case Szenarien“ möglichst verhindert werden, muss man sich im Vorfeld mit „Worst Case Szenarien“ beschäftigen und rechtzeitig gegensteuern. Wenn wir immer erst aus Katastrophen lernen, nachdem sie eingetreten sind, haben wir in Zukunft schlechte Karten. Unangebracht ist aber ein ständiger Alarmismus, der uns nur abstumpft oder verzweifeln lässt. Schulen müssen hier viel stärker vermitteln, wie man Medien kritisch konsumiert bzw. selektiert. Lösungsorientierung statt Problemorientierung muss im Vordergrund stehen.

Die Einstellung von Kindern zur Künstlichen Intelligenz ist sehr davon abhängig, wieviel Einblick sie in die Prozesse haben, welche sich z.B. in Robotern abspielen. Deshalb kommt auch zumindest rudimentären Programmierkenntnissen eine wichtige Rolle zu:

„Doch die Wahrnehmung und die Interaktion von Kindern mit künstlicher Intelligenz verändert sich, wenn sie lernen, sie zu programmieren. Sobald Kinder und Eltern verstehen, dass sie den Computer oder Sprachassistenten in einer laufenden Konversation trainieren können, demystifiziert es, wie intelligent diese Geräte sind. Sie verstehen, dass der Algorithmus und die Daten dahinter von Menschen entwickelt worden sind. Ist der Prozess erst entzaubert, lernen Eltern und Kinder, die Geräte so zu nutzen, dass sie tun, was sie wollen.“
(Stefania Druga, 21.08.2019, https://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/kuenstliche-intelligenz-und-kinder-mit-forscherin-stefania-druga-im-interview-a-1251721.html)

Bezüglich der Nutzung und der Einstellung zur KI gibt es aber auch große nationale und auch soziale Unterschiede. Keinesfalls dürfen wir uns daher gegeneinander ausspielen lassen, denn nur gemeinsam können wir die Probleme lösen. Außerdem lässt sich die Angst kaum reduzieren, wenn jede auf sich allein gestellt ist. Nur wenn wir uns darauf verlassen können, dass uns das Kollektiv auch einen gewissen Schutz bietet, können wir uns auch frei entfalten. Sitzen wir allerdings ständig im Schoß des Kollektivs, und machen das immer mehr Menschen, so werden wir ihm im Laufe der Zeit zu schwer.

Die Herausforderungen an das Bildungssystem sind gewaltig, die Chancen aber ebenfalls riesengroß. Mit Hilfe der KI lassen sich Bildungsprozesse viel individueller und eigenverantwortlicher organisieren, Lernprozesse viel freudenvoller und angstfreier gestalten, und die Zusammenarbeit zwischen allen im Bildungssystem befindlichen Personen auf eine neue Basis stellen, um gemeinsam „im Leben zu lernen“ und lösungsorientiert statt rein problemorientiert an neue Aufgaben heranzugehen.

Um das Potential der KI für das Bildungssystem nutzen zu können, muss es allerdings gelingen, die Professionalisierung der Pädagoginnen in diesem Bereich voranzubringen, denn an einem Mangel daran leiden bereits jetzt die Ansätze zur digitalen Bildung. Die KI steht bezüglich didaktisch und pädagogisch gezielten Einsatzes erst am Anfang, weshalb wir noch wenige Daten dazu haben. Es gibt aber zumindest erste Ansätze und einen Diskurs dazu, wie z.B. hier auf einer Seite aus Estland: https://www.aitimejournal.com/@brian.peddle/the-future-of-ai-and-education(21.08.2019)

Einen recht ausgewogenen Bericht, der auch die Probleme aufzeigt, gibt es von der Stanford University: https://ai100.stanford.edu/sites/g/files/sbiybj9861/f/ai_100_report_0831fnl.pdf  
(21.08.2019)
Darin wird auch darauf verwiesen, dass mangelnde Ressourcen die Entwicklung hemmen, da das kommerzielle Potential in der Spieleindustrie viel größer eingeschätzt wird. Dort besteht natürlich die Gefahr, dass der "Suchtfaktor" eher erhöht wird. Dies ist sowieso die "Gretchenfrage" der Zukunft: Soll die KI dazu verwendet werden, die Menschen zu manipulieren, oder soll den Menschen das Potential der KI für die persönliche Entfaltung eröffnet werden? Wenn es nur nach dem Kommerz geht, siegt wohl ersteres. Aufgabe des Bildungssystems ist es daher, dem entgegenzuhalten und die Kritikfähigkeit sowie Selbstständigkeit im Umgang mit Medien als zentrale Herausforderungen zu sehen.  

Um wirklich authentisch zu sein und die Schülerinnen mit ihrer Freude am Lernen „anzustecken“, sollten zeitgemäß gebildete Lehrerinnen vor allem das unterrichten, wofür sie sich auch begeistern können. Auf ihre individuellen Talente soll zugegriffen werden können, denn nur wer selbst begeistert und kompetent ist, kann auch andere begeistern. „Neugierecken“ mit „bunten“ Angeboten sollten Standard an Schulen werden.

Wir alle müssen die Komfortzonen öfters verlassen, immer etwas Neues suchen, unsere „Gier nach Neuem“ befriedigen, etwas einfach anders als üblich machen, um nicht der Routine zu erliegen, denn die nimmt uns die KI ab!

Edmund Huditz, August 2019

 

Literaturverzeichnis

Eagleman, David: The Brain. Edinburgh: Canongate Books, 2016
Harari, Yuval Noah: 21 Lessons for the 21st Century. London: Penguin, 2018
Porsch, Katia / Brandl, Peter: Der Zukunfts-Code. Berlin: Goldegg Verlag, 2018
Rosling, Hans: Factfulness. London: Sceptre, 2018

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