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17. Januar 2020

Digitalisierung als Spiegel der Gesellschaft

„Spiegeln, Spieglein an der Wand, wer ist die Wahrhaftigste im ganzen Land?“ - So könnte eine Einstiegsfrage zur Rolle der Digitalisierung in unserer Gesellschaft lauten. Wo in der Aufklärung noch der Homo Imaginens dem Individuum die Verantwortung für seine eigene Entfaltung übertrug, deckt die Digitalisierung und die damit einhergehende Künstliche Intelligenz schonungslos auf, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen unser Sein viel entscheidender determinieren als es uns lieb ist.

Digitalisierung als Spiegel der Gesellschaft

Die Zumutung der digitalen Spiegelwelt

„Spiegeln, Spieglein an der Wand, wer ist die Wahrhaftigste im ganzen Land?“ - So könnte eine Einstiegsfrage zur Rolle der Digitalisierung in unserer Gesellschaft lauten. Wo in der Aufklärung noch der Homo Imaginens (was ich als treffenderen Ausdruck als Homo Sapiens erachte) dem Individuum die Verantwortung für seine eigene Entfaltung übertrug, deckt die Digitalisierung und die damit einhergehende Künstliche Intelligenz schonungslos auf, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen unser Sein viel entscheidender determinieren als es uns lieb ist.

Selbst Revolutionen etablieren oft nur ein neues Gewand, unter dem alte Muster weiterleben. Wenn wir unsere Musterhaftigkeit ändern wollten, müssten wir sie aber zumindest erst einmal erkennen. Vor dem digitalen Zeitalter blieben wir lieber bei der Verschleierung, anderen und auch uns selbst gegenüber. Die massenhafte Auswertung von Daten mithilfe digitaler Technik deckt aber heutzutage schonungslos auf, was wir oft nicht wahrhaben wollten: Dass wir von externen Faktoren viel stärker determiniert sind, als man es vom Ideal eines seinem freien Willen folgenden Individuums erwarten würde. Selbst die Flucht vor der Stereotypisierung führt nur zur Erzeugung neuer Typisierungen (Modeerscheinungen). Um dem zu entkommen, dürfte man keinerlei Muster folgen, was praktisch ein Ding der Unmöglichkeit ist, da Gesellschaft dann nicht funktionieren kann. Je komplexer unsere Gesellschaft wird, desto mehr müssen wir uns darauf verlassen, dass ihre Mitglieder gewisse Regeln befolgen.

Selbst unsere Partner wählen wir bewusst oder unbewusst nach gewissen Mustern. Partnerwahl erfolgt sogar zunehmend nach bestimmten Mustern. „Passende“ Partnerinnen zu finden fällt heute mithilfe digitaler Medien viel leichter, wodurch sich soziale Schichten eher verfestigen. Dating-Apps werben sogar damit, wie teilweise schon ihre Bezeichnungen verraten (z.B. ElitePartner, The Inner Circle). Bei der Wahl von Partnern ist sogar ein „Matching von Mustern“ besonders wichtig, denn wer will schon einen Partner, der völlig unberechenbar ist? Mithilfe künstlicher Intelligenz wird das Matchen von Personen sogar immer leichter, wenn man nur genügend von sich preisgibt. Falls wir das in Zukunft automatisiert durch eine künstliche Intelligenz machen lassen, kann das Resultat auch ein Wahrheitsspiegel für uns selbst sein.

Abgesehen von Partnerschaft und Familie spielt sich Gesellschaft für das Individuum großteils in Gruppen und Bekanntenkreisen ab. Auch dort verhalten wir uns meist „musterhaft“, haben aber meist wenig Einblick in andere Kreise. Wenn wir uns heute über die vielen Bubbles im Internet beklagen, dürfen wir nicht vergessen, dass es solche Bubbles schon immer gegeben hat, zum Beispiel an den verschiedenen Stammtischen. Wir hatten nur kaum die Möglichkeit, in diese Bubbles Einblick zu bekommen, da sich die meisten von uns in recht engen Bekannten- und Verwandtenkreisen, also vertrauten Bubbles bewegt haben. Unser Bild der Gesellschaft und auch unsere Sicht verschiedener sozialer Schichten wurde dadurch geprägt. Die digitale Welt fördert jetzt vieles zu Tage, was sich davor im Verborgenen abspielte. Durch die schnelle und weite Verbreitung kann es natürlich auch zu einer Verschärfung kommen. Andererseits spiegelt dies ein realeres, unverschleiertes Bild der Gesellschaft. Sollte die Katharsis-Theorie Recht haben, könnte dies vielleicht sogar eine Ventilfunktion erfüllen.  

Es erstaunt kaum, dass wir auch im Bildungsbereich immer stärker bestimmten Mustern vertrauen, beispielsweise den verschiedenen Kompetenzrastern, an denen wir uns orientieren. Ständig besser werdende online-Tests können unsere Stärken und Schwächen recht schnell aufdecken. Ohne entsprechenden Datenschutz sind wir dann bald gläserne Bürgerinnen.  Auch Wissenschaftlerinnen müssen sich immer stärker an bestimmte Muster und „Insider-Diktion“ bei ihren Veröffentlichungen halten, um von ihresgleichen ernst genommen zu werden. Die Verständlichkeit und damit auch Relevanz für den „Durchschnittsbürger“ können aber darunter leiden.

Digitale Medien als „Spiegel der Gesellschaft“ spielen natürlich auch für die Politik eine große Rolle. Die Erhebung von Anliegen und Bedürfnissen ist über entsprechende Plattformen viel leichter und aktueller möglich. Der Austausch mit der „Zivilgesellschaft“ (eigentlich ein sehr seltsamer Ausdruck in Anbetracht der alten Ideale vom Menschen als „Zoon politikon“) stellt an sich kein Problem dar. Konsequenzen von Entscheidungen können, wenn man möchte, viel schneller sichtbar gemacht und auch erklärt werden. Dabei sollte aber in Zukunft auch auf „einfache Sprache“ viel öfter zugegriffen werden, um ein möglichst breites Spektrum der Gesellschaft zu erreichen.
Entscheidend für die Gestaltung der Zukunft wird sein, ob nur die Politik die Bürger durchschaut und gezielt manipuliert, oder ob sie die Menschen stärker in ihre Entscheidungen einbezieht. Dafür müssen allerdings auch die Bürgerinnen lernen, ihre Anliegen besser zu reflektieren. Es ist ja auch das Dilemma der Pädagogik, dass es anscheinend leichter ist, Menschen zu manipulieren und ihre Schwächen auszunutzen, als sie zum eigenständigen Denken zu befähigen. Zahlreiche Experimente wie zum Beispiel das Milgram- Experiment haben dies nachdrücklich vor Augen geführt. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass der Homo Imaginens sich leichter von Bildern als von logischen Überlegungen leiten lässt. Er hat aber immerhin die Möglichkeit, sich diese Schwäche einzugestehen und entsprechend korrigierend zu agieren.
Für den Erhalt der Demokratie wird es jedenfalls in Zeiten sich verschärfender Krisen und gesellschaftlicher Spannungen von essenzieller Bedeutung sein, ob es uns gelingt, uns stärker von einer „Mehrheitsdemokratie“ zu einer „Kompromissdemokratie“ zu entwickeln, da es so viele unterschiedliche Bedürfnisse gibt. Dies ist aber auch eine große Chance für ihre Weiterentwicklung unter stärkerer Bürgerinnenbeteiligung. Entscheidend dafür ist allerdings, dass wir aus dem zu unserer Verfügung stehenden Wahrheitsspiegel nicht wieder einen Verschleierungsspiegel machen.

Edmund Huditz, Jänner 2020

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